On -./

By Manfred Fassler

From -./, DVD published by Kunstverein Medienturm, Graz, 2006


“If it is possible to make visible the presence of electricity, I do not see why information cannot be immediately transmitted to all directions by means of electricity.” With this statement Samuel Morse commented on the invention of audiovisual electric news in 1837. The history of mechanized hearing, which gave rise to confusion and success, began. People learned to perceive intervals between impulses as letters, to convert letters and words into impulses. Morse code was also the Morse alphabet. Real-time-ranges emerged: abstract, coded spaces. In telegraphy the codes were translated ‘automatically’; loop tapes whereon only one line was written evolved, following the monotonous, acoustic loop writing, which, in a linear form, translated text into an impulse sequence. In Morse code, writing and text lost their traditional, medial body, but gained instant ranges, losing the depth of the plane in favor of a rationalized linearity.

Andrés Ramírez Gaviria sets the abstraction of the digital interface against the rationalization of the plane-script. His project recalls the deep surfaces of writing, but not as the retro-plane of a book’s page or sheet of paper. In his video, the loop-tape of the script is locked within a pulsating, diagonally structured screen. Lines are transferred to stripes, to linear planes of differing widths. Digitally generated, a plane emerges which moves within itself, a non-linear happening of sudden changes. What makes this work especially interesting is that code and plane find common ground on the basis of the Morse code: this is one of many paradoxes which the digital culture triggers worldwide in the works of artists within the spectrum of media and art. In this context, the reference to the history of art is telling. Andrés Ramírez Gaviria translates the index of Point and Line to Plane by Wassiliy Kandinsky, 1926 into an audio-visual image via Morse code. This code emerges as a generated, dynamic pattern of planes. The visible area and the audible space are designed in a way that precludes any further decoding of the sequence of signs. The signs become an intrinsic value of the artwork. The linear rationalization, the original purpose of their creation, is taken away. Thus, a work that could be described as code criticism is produced.

In the modified arrangement of the visual and acoustic code ranges, a Morse-image emerges – another paradox. It is not interference, but an interruption of linearity. Through this linearity we realize that we have to learn anew to see dynamic parallel fields and abrupt line jumps as connected. In the work of Andres Ramirez Gaviria, basic principles of rationality arise, which assume linearity, while emphasizing the compositions of complexities and herewith underline that plane and space have to be perceived, conceptualized and designed, if they are to explain and animate the dynamics of digital processes. Here is the transition from Morse code, the communicational instrument, to mediality. This mediality poses the challenge not to pass on stretching the information flood through new linearity and thus lose its context, but to understand and live the world as complex, scaled and non-scaled networks. The complexity of the screen display invites the active viewer to further thoughtful analysis.


(DE)

“Wenn es möglich ist, die Anwesenheit von Elektrizität sichtbar zu machen, sehe ich nicht ein, weshalb eine Meldung nicht im selben Augenblick mittels Elektrizität in jede Richtung weiterbefördert werden kann.” Mit diesem Satz begleitete Samuel Morse 1837 die Erfindung hörbarer und sichtbarer elektrischer Nachrichten. Die Irritations- und Erfolgsgeschichte technischen Hörens begann. Menschen lernten, Impulsabstände als Buchstaben zu hören, Buchstaben und Worte zu Impulsabständen zu machen. Der Morse-Code war zugleich Morse-Alphabet. Echtzeit-Reichweiten entstanden, ungegenständliche, codierte Räume. In Telegraphie wurden die Codes ´automatisch´ übersetzt. Endlosbänder, auf denen nur eine Zeile geschrieben war, entstanden als Folge der monotonen akustischen Endlosschrift, die in einem linearen Hintereinander jeden Text in eine Impulsfolge brachte. Im Morse-Code verloren Schrift und Text ihren traditionellen medialen Körper, gewannen allerdings instantane Reichweiten. Und sie büßten die Tiefe der Fläche ein, zugunsten eines rationalisierten Hintereinanders.

Andrés Ramírez Gaviria führt gegen diese Rationalisierung der Flächenschrift die Abstraktion des digitalen Interfaces an. In seinem Projekt ruft er die tiefen Oberflächen der Schriftlichkeit wieder auf, allerdings nicht als retro-Fläche einer Buchseite oder eines Papierblattes. In seinem Video wird das Endlosband der Schrift in einen pulsierenden, diagonal strukturierten screen gebannt. Linie wird in Streifen überführt, in unterschiedlich breite lineare Flächen. Digital erzeugt entsteht eine sich in sich bewegende Fläche, ein nicht-lineares Geschehen plötzlicher Änderungen. Das spannende an dieser Arbeit ist, dass Code und Fläche auf der Basis der Morse-Codes zueinander finden. Ein Paradoxie, eine von vielen, die die digital culture weltweit im Spektrum der Medien und Künste in den Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern entstehen lässt. Der Bezug auf die Geschichte von Kunst ist dabei interessant. A. Ramírez Gaviria verwendet den Buchtext auf der Rückseite von Point and Line to Plane, Wassiliy Kandinsky, 1926. Er überträgt ihn in den Morse-Code und unterlegt die visuelle Präsentation mit der Geräuschefolge elektrischer Impulse. Zugleich erscheint der Code als generiertes, dynamisches Flächenmuster. Das Sichtfeld und der Hörraum sind so ausgelegt, dass die Zeichenfolgen nicht mehr decodierbar sind. Sie sind ein Eigenwert des Kunstwerks geworden. Sie sind der linearen Rationalisierungentzogen, für die sie geschaffen worden waren. So ist eine Arbeit entstanden, die code criticisme benannt werden könnte.

In der veränderten Anordnung der visuellen und akustischen Codereihen entsteht ein Morse-Bild, – eine weitere Paradoxie. Es ist keine Bildstörung, sondern eine Störung der Linearität. In ihr wird deutlich, dass wir Menschen in unserer Wahrnehmung neu lernen müssen, dynamische Parallelfelder und abrupte Linien-Sprünge zusammenhängend zu sehen. In der Arbeit von Andrés Ramírez Gaviria zeigen sich Grundzüge einer Rationalität, die die Linearität zwar voraussetzt, aber die Kompositionen von Komplexitäten herausstellt und mit ihnen betont, dass Fläche und Raum gesehen, gedacht und entworfen werden müssen, um die Dynamiken von digitalen Prozessen erklären und beleben zu können. Es ist hier der Übergang von dem Kommunikationsinstrument Morse-Code in die Medialität. In ihr liegt die Aufforderung, die Informationsmassen nicht durch neuerliche Linearität zu ´strecken´ und darin ihren Zusammenhang zu verlieren, sondern Welt als komplexe scaled und non-scaled networks zu begreifen und zu leben. Das screenplay der Komplexität lädt ein. Weiter denken muss der eintretende Zuschauer, die eintretende Zuschauerin.